Die Kommenden (Hamburger Abend-Zeitung)

Die Kommenden. Berlin, im Selbstverlage der “Kommenden”, Verlag “Renaissance”, Berlin, Schmargendorf.

Diese neue Veröffentlichung, deren Quelle eine Art von literarischem Stammtisch zu sein scheint, der an den Donnerstag-Abenden (wie auf dem Titelblatt zu lesen) im Nollendorf-Casino zu Berlin “tagt”, führt sich durch ein künstlerisch ausgestattetes Heft ein, das zunächst durch einige nachgelassene Gedichte Ludwig Jacobowsksi’s imponirt. Auch die erste illustrative Gabe des Heftes, der Kopf des Heimgegangenen Dichters nach einem Relief von G. Lehmann-Wienbrack, flößt Sympathie ein. Unter den Gedichten Jacobowski’s, die alle eigenartig und kraftvoll sind, ragt besonders das plastische Bild “In der Mark” hervor.
“Auf Dach und Telegraphenstäben
Hat nicht ein Vöglein seinen Stand.
Die kupferrothen Drähte streben
Wie angeglüht ins heiße Land.
Kaum will ein schlaffes Gras sich heben,
Das Laub der Birken hangt verbrannt
Und krastlos dunstet überm Leben
Der ausgebleichte Heidesand.
* * *
Eine Stille fürchterlich
Wirft die Kissen über mich
Und ich höre nur aus Weiten
Leis den Tact der Tage schreiten.”
Was aber sonst an Bildern und poetischen Gaben in dem mit einem schwächlichen Titelbild versehenen Hefte vorhanden ist, berechtigt die Urheber durchaus nicht zu dem stolzen Titel der “Kommenden”. Das weibliche Element’ist allzu stark vertreten, und zwar durch ziemlich mittelmaßige Gaben, was der ganzen Publication den Stempel der Mittelmäßigkeit aufdrückt. Was soll beispielsweise das folgende sogenannte Gedicht “Karma” von Else Lasker-Schüler bedeuten?
“Hab’ in einer sternlodernden Nacht
Den Mann neben mir ums Leben gebracht.
Und als sein girrendes Blut gen Morgen rann,
Blickte mich düster sein Schicksal an.”
oder der geschmackvolle Schluß des Gedichtes “Chaos”:
“Möchte einen Herzallerliebsten haben!
Und mich in seinem Fleisch vergraben.”
Ebenfalls ohne besonderes Interesse sind die Bruchstücke aus “Die Kuhmagd” von Johannes Schlaf oder das Gedicht “Traum” von Hans W- Fischer. Eine Gedächnisrede auf die Persönlichkeit Friedrich Nietzsche’s, gehalten im Kreise der “Kommenden” von
Rudolf Steiner, bringt nichts Neues. Dem Mittelmäßigen gegenüber stehen manche ganz annehmbare Arbeiten, wie die Gedichte Otto Albert Schneider’s, Marx Möller’s malayiscke Mythe und einige andere Beiträge. Der literarische Stammtisch scheint übrigens-
einen weiten Mitgliedskreis zu besitzen, wie aus Beiträgen von Johannes Ohquist-Helsingfors hervorgeht, die übrigens nicht die schlechtesten sind. Unter den illustrativen Gaben ragen diejenigen Knut Hansen’s hervor. Ph. B.

Hamburger Abend-Zeitung, 73. Jahrg., 4. Mai 1901, Nr. 104, S. 24. Online