Psalm 126

Psalm 126

Gewidmet Herrn Dr. Heinrich Loewe, der mich zum Zionismus geführt hat.

An jenem Tage aber wird es sein,
Als bannte uns ein lichter, schöner Traum.
Es flammt der morgenrothe Sonnenschein
Als Freiheitsfackel auf am Himmelssaum;
An jenem Tage klingt von Nord und Süd,
Von Ost und West ein einz’ger Jubelschrei,
Ein Sabbathpsalm, ein frohes Hochzeitslied:
Der Herr hat uns erlöst, und wir sind frei!

Ein Meer von Thränen haben wir vergossen,
Und viele sind es, die für Zion starben;
Doch uns’re Saat ist herrlich aufgesprossen,
Und reich und golden stehen unsre Garben.
Frei liegt das Land vor uns im Morgenglühn,
Das unsre ahnungsüssen Träume schauten,
Und purpurrothe, junge Rosen blüh’n,
Wo uns’re heissen Thränen niederthauten.

Still liegt der Sabbathfriede auf dem Land;
Im tiefsten Glück versinken die Gedanken,
Und eine schlanke, feine Mädchenhand
Kränzt Deine Stirn mit frischen Blumenranken.
In tiefgeneigte Zweige hüllt Dich ein,
Mit deinem Glück ein blütenschwerer Baum —
An jenem fernen Tage wird es sein,
Als bannte uns ein lichter, schöner Traum.

Berlin. Dolorosa.

Die Welt (Wien), 5. Jahrg., 26. April 1901, Nr. 17, S. 13. Online