Juda (Thekla Skorra)

1894

Juda

Gezwängt in Ghettowände.
Geknebelt in das Joch,
Gebunden deine Hände:
Blieb frei der Geist dir doch.

Den konnten sie nicht zwingen,
Der schwang sich dennoch auf,
Und nie auch wird’s gelingen,
Zu hemmen seinen Lauf.

Sie konnten viel uns nehmen,
Von Menschenpflicht und Recht;
Verachten uns, vervehmen:
Wir wurden doch nicht schlecht.

Und hat man stets auf’s Neue
Den Fuß auf uns gesetzt,
Arglistig, sonder Treue,
Verbrieftes Recht verletzt.

Was hat dich aufgerichtet,
Mein Volk, im Leid verhöhnt,
Des Elends Nacht gelichtet
Dich deinem Gott versöhnt?

Es war in enger Klause
Dein friedevolles Heim,
Da wo du warst zu Hause,
Warst König du allein.

Ob draußen jeder Bube
Zum Gassenspott dich macht,
Wurd’ doch in nied’rer Stube
Dir Ehrfurcht dargebracht.

Die Reine deiner Frauen,
Des Kindes treu Gemüth,
Vergangner Größe Schauen,
Ein helles Sabbathlied:

Das waren Zaubermächte,
Die dich gestärkt, mein Stamm,
Die ich, beraubt der Rechte,
Bewahrte wundersam.

Drum laßt nur Neid und Aerger
Uns schmäh’n ohn’ Unterlaß!
Des Juden Herz ist stärker,
Als seiner Feinde Haß!

Thekla Skorra in Rahmer’s Familien-Blatt.

1913

Juda

Gezwängt in Ghettowände.
Geknebelt in das Joch,
Gebunden deine Hände:
Blieb frei der Geist dir doch.

Den konnten sie nicht zwingen,
Der schwang sich dennoch auf,
Und nie auch wird’s gelingen,
Zu hemmen seinen Lauf.

Sie konnten viel uns nehmen,
Gen Völkerpflicht und Recht;
Verachten uns, vervehmen:
Wir wurden doch nicht schlecht.

Und hat man stets aufs neue
Den Fuß auf uns gesetzt,
Arglistig, sonder Treue
Verbrieftes Recht verletzt:

Was hat dich aufgerichtet,
Mein Volk, im Leid verhöhnt,
Des Elends Nacht gelichtet [Zeile fehlt] Dich deinem Gott versöhnt?

Es war in enger Klause
Dein friedevolles Heim,
[Des Elends Nacht gelichtet] Da wo du warst zu Hause,
Warst König du allein.

Ob draußen jeder Bube
Zum Gassenspott dich macht,
Wurd’ doch in nied’rer Stube
Dir Ehrfurcht dargebracht.

Die Reine deiner Frauen,
Des Kindes treu Gemüth,
Vergang’ner Größe Schauen
Ein helles Sabbathlied:

Das war’n die Zaubermächte,
Die dich gestärkt, mein Stamm,
Daß freiheitslos, ohn’ Rechte,
Dich doch bewahrtest wundersam.

Drum laßt nur Neid und Aerger
Uns schmäh’n ohn’ Unterlaß!
Des Juden Herz ist stärker,
Als seiner Feinde Haß!

Thekla Skorra

Die Deborah⁩ (Cincinatti, Ohio), 39. Jahrg., 5. April 1894⁩, Nr. 10, S. 1. Online
Jung Juda (Prag), 14. Jahrg., 5. Dezember 1913, Nr. 23, S. 1. Online